"Du musst dir unbedingt diese roten Stiefel ansehen! Die würden dir total gut stehen!", wollte Zoé, Catharas beste Freundin, sie gerade überzeugen. Cathara beäugte misstrauisch die knallroten Stiefel mit Absatz, die im Stand rechts von ihnen angeboten wurden. Sie erwiderte skeptisch Zoés strahlenden Blick. "Gib's auf, Zoé. Rot steht mir einfach nicht." Cath grinste sie entschuldigend an. Cathara war ein schlankes, groß gewachsenes Mädchen mit weißblonden Haaren, blasser Haut und eisblauen Augen. Rot passte da gar nicht. Zoé sah sie enttäuscht an. Zu ihren glänzenden, schwarzen Haaren den fast schon rotbraunen Augen passte die Farbe einfach tausendmal besser. Im Moment trug sie eine schwarze Lederjacke, schwarze Stiefel mit dicken Sohlen, dunkelblaue Jeans und ein orange-rotes T-Shirt. Cathara dagegen hatte sich heute für die Shoppingtour eine weiße Bluse und eine schwarz glänzende Röhrenjeans angezogen. Sie ließ ihren Blick eher gelangweilt über den großen Markt schweifen. Zoé hatte unbedingt die Lederstiefel sehen wollen, die es hier - und nur hier - gab. Aber Cathara hatte noch nie solche teuren Schuhe gekauft. Stattdessen begnügte sie sich mit einigermaßen schicken, dunkelblauen Turnschuhen. Plötzlich blieb ihr Blick an einem Jungen hängen, kaum ein Jahr älter als sie. Er lehnte lässig gegen einen der Stände, trug eine Sonnenbrille und trotz des warmen Sommerwetters eine graue Mütze über den schwarzbraunen Haaren. Seine Hände steckten tief in seinen Hosentaschen und er schien ihren Blick zu spüren. Als er hersah wurde Cathara schlagartig heiß und sie fühlte sich, als ob sie rot glühen würde. Das war einer der Typen, die ihr gefielen und sie niemals bekommen würde. Sie wollte gerade wieder ihren Blick abwenden als er ihr zuwinkte. Es war nur eine flüchtige Geste, nur für einen Bruchteil einer Sekunde zu sehen - als würde die Luft vor Hitze flimmern - aber Cathara war sich sicher. "...wenn es das ist, was du willst - sag es einfach!", wurde Cathara durch Zoés wütende Stimme aus ihren Gedanken gerissen. Verblüfft wandte sich Cath ihrer Freundin zu. Sie blinzelte verständnislos. "'Tschuldingung, hab grad nachgedacht ... Was hast du gesagt?" Caths Frage schien Zoé noch wütender zu machen. Sie warf ihre Haare über die Schulter, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand mit erhobenem Kinn in der Menge. Cathara stand noch einen Augenblick verwirrt da, dann sah sie sich wieder nach dem Jungen um. Er war nicht mehr da. Dort wo er gestanden hatte flatterte nur noch eine einsame Plane im schwülen Sommerwind. Enttäuscht seufzte sie und lief auf die Plane zu. Vielleicht hatte sie das Glück, ihn noch um eine Ecke huschen zu sehen... Aber er fände sie ja kaum attraktiver dadurch, dass sie ihn verfolgte. Automatisch lief sie an der Plane vorbei, als sie plötzlich zwei kräftige Hände an den Schultern packten und sie in eine Nische zwischen zwei Ständen zog. Die Fingerspitzen des Jungen stachen schmerzhaft in ihre Haut. Cathara unterdrückte einen Schmerzenslaut und kniff kurz die Augen zusammen. Ihr gegenüber stand der Junge von vorhin, er trug eine dunkelbraune Lederjacke und ein weißes Shirt. Cath bemerkte den milden Geruch nach Zimt, vermischt mit einer süßlichen Seife und Schweiß. Verwirrt blinzelte sie ihn an. Er hatte seinen Mund fest zusammen gekniffen. "Okay, Cathara Sheen. An deiner Stelle würde ich mich jetzt ruhig verhalten...", knurrte er und Cath stellte fest, dass seine Eckzähne länger, breiter und schärfer waren als die von jedem normalen Menschen. Sie schnappte erschrocken nach Luft. Über das Gesicht ihres Gegenübers huschte ein leichtes, aber eher grimmiges Lächeln als er sich vorbeugte und ihr einen flüchtigen Kuss auf den Mund gab, der viel mehr ein Hauch war. Dann beugte er sich hinab zu ihrer Schulter, den Mund bereit zum Biss geöffnet. In einem kurzen Moment erhaschte Cath einen Blick hinter seine Sonnenbrille. Seine Augen schimmerten wie flüssige Schokolade und sie hatten schlitzförmige Pupillen... Dann erreichte er ihre Schulter, schlug seine Zähne hinein und sofort setzte ein heißer, stechender Schmerz ein. Cath wollte schreien, aber ihre Kehle war vor Angst zugeschnürt. Ihr wurde schwarz vor Augen. Das letzte, was sie wahrnahm bevor sie in Ohnmacht fiel, war sein Duft nach Zimt und Seife.
Cathara schlug die Augen auf. Sie lag auf dem Bett in ihrem Zimmer. Vorsichtig bewegte sie ihren Kopf, der laut dröhnte. Die Erinnerungen an das letzte, was ihr passiert war kamen langsam und wirkten unrealistisch. War das Alles nur ein Traum gewesen? Hoffnungsvoll sah sie aus dem Fenster - die ernüchternde Erkenntnis war, dass es bereits Mittag war und sie um diese Zeit normalerweise nicht im Bett lag. Cath richtete sich auf und sah sich um. Ihr Zimmer. Wie an jedem normalen Tag war der Boden voller Spielzeug das sie nicht mehr benutzte und die Fenster waren tapeziert mit selbst gemachten Window Colours. Der Schreibtisch ragte wie ein hoher Fels aus dem Chaos heraus. Auf ihm stapelten sich dafür lauter Schul- und Malsachen. Erst bei näherem Hinsehen entdeckte Cathara einen Zettel, den sie selbst nie verfasst hatte. Sie schwang ihre Beine aus dem Bett und stand mühsam auf. Sie hatte vermutlich schon etwas länger im Bett gelegen... Denn sie torkelte etwas, da sich ihre Beine komisch entkräftet anfühlten. Erst wollte sie den Zettel lesen, doch plötzlich schmerzte eine Stelle rechts oben an ihrem Kopf. Sie presste reflexartig eine Hand dagegen. Aber das half nicht. Genauso automatisch lief sie zum langen Spiegel in ihrem Zimmer, schob ihre Haare auseinander und inspizierte die schmerzende Stelle. Es war ein komisches Gefühl... eine Mischung aus dumpfem Pochen und fiesem Stechen. Sie wollte gerade die Haare wieder über die unversehrte Stelle Haut gleiten lassen als der Schmerz abprubt endete und sich die Haut zu wölben begann - entgeistert starrte Cathara auf das katzenähnliche Ohr, das ihr gewachsen war. So schnell wie der Schmerz verschwunden war setzte er auch wieder ein. Und zwar diesmal an der linken oberen Kopfhälfte. Ein Ohr wirkte wirklich etwas ungewöhnlich ... Aber sie war so abgelenkt dass sie gar nicht vom Unrealismus der Sache überzeugt war. Kurze Zeit später prangten zwei sandfarbene Katzen - oder Wolfsohren an ihrem Kopf und sie beobachtete wie sich ihre Haare und ihre Haut dunkler tönten. Ihre Haare nahmen ein haselnussbraun an, ihre Haut einen hellen, goldbraunen Farbton. Plötzlich veränderte sich auch ihre Nase. Die Nasenlöcher verschoben sich sodass dort nun eine Katzennase saß. Als sis dachte, es sei vorbei, setzte ein Schmerz am Steißbein ein. Cath riss überrascht die Augen auf. Ein schmaler, eleganter Katzenschwanz ragte hinter ihr auf. Er besaß dieselbe Farbe wie ihre Haare jetzt. Ihre Augen verfärbten sich von eisblau in ein leuchtendes Grün und sie bekamen schlitzförmige Pupillen - wie der Junge, bemerkte Cath verblüfft. Deswegen hatte er Sonnenbrille und Mütze getragen. Cathara rannte sofort zu ihrem Kleiderschrank und riss eine Schublade auf, wobei sie bemerkte dass sie nun krallenartige Hände anstatt Fingern hatte. Kurz stockte sie, dann durchsuchte sie die Schublade nach Handschuhen und einer Mütze. Sie wurde fündig und zog sich eine dunkelgrüne Stoffmütze über, dazu graugrüne Handschuhe. Dann hastete sie zum Schreibtisch und suchte eine Sonnebrille. Als sie schließlich eine auf der Nase trug fiel ihr Blick wieder auf den Zettel. Es war eine Seite, wahllos herausgerissen aus einem ihrer Malblöcke. Darauf konnte man eine krakelige aber trotzdem lesbare Handschrift erkennen, die mit dem schwarzen Kugelschreiber, der noch daneben lag, verfasst worden war. Sie nahm den Zettel in die Hand wobei sie ihn fast zerriss, da ihre Klauen total ungewohnt waren. Den ganzen Frust und die Verzweiflung schluckte sie herunter und las die Nachricht.
Hi Cath,
Du kennst mich sicher nicht - aber ich kenne dich. Wieso ich dich zu einem Unio gemacht habe ekläre ich dir, wenn du morgen um 19 Uhr an der Ecke Tendelstraße - Muldenweg erscheinst.
Dein A.
Cathara runzelte die Stirn. Sie wollte diesen Jungen eigentlich nicht nochmal sehen. Erst hatte er sie geküsst und dann gebissen - wer macht denn sowas? Außerdem kannte sie ihn nicht, wieso sollte er sie küssen wollen? Aber dummerweise konnte sie sich so nicht ihrer Mutter zeigen. Und sie wusste ohnehin nicht, was sie mit Fangzähnen und Klauen anfangen sollte - mit dem Katzenschwanz schon garnicht... Sie entschied sich dafür, sich morgen mit diesem "A" zu treffen. Welcher Name sich wohl dahinter verbarg? Cath musste zugeben, dass der Junge ihr gefallen hatte. Aber einen, der sie in - was auch immer sie nun war - verwandelte, wohl gemerkt durch einen Biss, war kein geeigneter Freund. Sie schrieb schnell einen Zettel für ihre Mutter. Darauf stand, dass sie heute bei Zoé übernachten würde. Während sie die Nachricht verfasste dachte sie gezwungener Maßen über Zoé nach. Cath verstand nicht, wieso sie plötzlich so wütend gewesen war. Aber sie hatte ja auch nicht hingehört... Ein schlechtes Gewissen hatte sie schon. Aber Zoé hatte bis jetzt immer nachgegeben - deshalb war sie auch Catharas Freundin. Cath legte den Zettel auf den Küchentisch und verschwand dann wieder in ihr Zimmer, um einige Sachen, die sie mitnehmen wollte, in einen Rucksack zu stopfen, bevor ihre Mutter nach Hause kam. Dann verließ sie mit Mütze, Sonnenbrille und Handschuhen das Haus. Für heute Nacht konnte sie bestimmt nicht bei Zoé übernachten... Vielleicht bekam sie ja irgendein Zimmer, wenn sie bei einem Hotel fragte. Während ihre Gedanken an ihrer nächtlichen Bleibe hingen lief sie ziellos durch das kleine Städtchen, in dem sie wohnte. Es hieß Between, da es zwischen zwei Flüssen lag. Der eine Fluss war sehr schmal und klein. Er verlief östlich des Stadtrandes und wurde "Pugna" genannt, da an der Quelle des Flusses nicht weit weg von Between einmal eine große Schlacht stattgefunden hatte. Welche genau das war, wusste Cath nicht. Der andere Fluss verlief fast parallel zur Pugna und war fast doppelt so lang und dreimal so breit. Dort kam man nur mit einem Ruderboot auf die andere Seite. Eine Brücke hatte es mal gegeben, doch die war verbrannt, da sie nur aus Holz bestanden hatte. Der Fluss hieß "Lorem". Lorem bedeutet "blau", und so nennt man ihn, da er eine blaue Färbung hat. Dazu gab es eine Sage, dass wenn der Fluss sich braun färbt, dass dann die Schlacht der Schlachten folgt. Diese Schlacht würde entscheiden ob die Menschen überlebten oder nicht ... Oder so ähnlich. Jedenfalls war das ungefähr die Bedeutung.
Langsam wurden die Schatten länger und Cath wusste noch immer nicht, ob sie ein Hotelzimmer mieten oder bei Zoé um Verzeihung bitten und dort übernachten sollte. Ratlos blieb sie auf dem Marktplatz stehen, auf dem gerade die Stände abgebaut wurden. Es wurde merklich kühler, aber noch konnte man ohne Jacke herumlaufen. Der Himmel fing an, sich hellorange zu färben und Cathara war immer noch unschlüssig bezüglich der Nacht. Sie war noch nie in einer solchen Situation gewesen. Was, wenn die Hotelangestellten keine 15-jährige in ihrem Hotel haben wollten? Was, wenn das billigste Zimmer zu teuer war? Oder was war, wenn Zoé ihr nicht vergab und ihr die Tür vor der Nase zuschlug? Oder wenn sie das mit ihrer Verwandlung nicht nur merkte sondern auch abschreckend fand? Naja, bemerken würde sie es sicher, immerhin hatte sie sich nicht vom einen auf den anderen Tag die Haare färben lassen... Vielleicht bemerkten die im Hotel auch ihre Fangzähne - dann würden sie die Polizei rufen! Cathara bekam Durst, setzte ihren Rucksack ab und trank die ganze Wasserflasche leer, die sie sich mitgenommen hatte. Dann setzte sie sich müde auf eine Bank, die noch einigermaßen in der Sonne lag. Im Schatten war es jetzt schon so kühl, dass man eine Jacke anziehen musste. In der Sonne ging es aber noch. Die letzte Strahlen der Sonne verfärbten den Himmel rot-orange. Cath liebte den Sonnenuntergang - aber selbst der konnte sie nicht von ihren Gedanken ablenken. Deprimiert vergrub sie das Gesicht in den Händen und saß dort so da, bis sie spürte, dass nun auch diese Bank im Schatten lag. Sie schaute auf. Der Himmel war nun fast schwarz, nur noch wenig dunkelrot erhellte im Westen den Himmel. In dem unendlich wirkenden Schwarz funkelten abertausende weißer Sterne. Der Mond war verdeckt von schwarzen Fetzen einer Wolke. Seufzend erhob sich Cath und schwang sich den Rucksack wieder auf den Rücken. Sie musste eben doch noch ins Hotel...