Mitten in der Nacht wurde Fenja schlagartig geweckt. Sie hatte ein Geräusch gehört. Ihre Eltern waren auf einer Geschäftsreise und ihre große Schwester war mit ihrem Freund Philipp ausgegangen. Und zwar bis mindestens 23 Uhr! Dieser Gedanke beunruhigte Fenja nur noch mehr. Sie war allein - und da war etwas! Sie spürte es. Irgendwo in diesem Haus war jemand! Zitternd zog sie ihre Vampirdecke hoch bis zum Kinn. ‚Wie ironisch‘, dachte Fenja zitternd. ‚Mitten in der Nacht wenn ich etwas höre denke ich an meine Vampirdecke!‘ Sie war ein riesiger Vampirfan. Sie liebte die langen, gefährlichen Zähne und die romantischen, spannenden Filme wie Twilight und Vampire Diaries. Nur das mit dem Blut und dem Tageslicht behagte ihr nicht… Aber Einbrecher und Mörder, das waren andere Dinge. Fenja lief ein kalter Schauer über den Rücken. ,Oh, nein! Mum! Dad! Zoé!‘, rief Fenja in ihren Gedanken ängstlich. ,Hilfe!‘ Ihr Blick war an ihre tagsüber weiße, nun in der Dunkelheit aber graue Decke geheftet. Sie hörte etwas… Seltsam, es hörte sich an wie Schritte, nur tausendmal leiser, als glitten die Füße fast lautlos über den Boden. Fenja versuchte, ihr Zähneklappern zu unterdrücken um diesen Jemand nicht auf sie aufmerksam zu machen. Wenn es ein Einbrecher war, der nur Schmuck und Geld wollte würde er bei ihr nichts finden außer einer Menge Zeichnungen und Büchern. Da würde er eher in Mum und Dad’s Zimmer etwas finden. Ihre Augen wanderten von der leblos und kalt wirkenden Zimmerdecke zur Tür, die einen Spalt weit offen stand. Ihre Fingerspitzen fühlten sich kalt an – doch das war nicht der einzige Grund weshalb sie zitterte. Sofort sah sie wieder weg. Sie wollte garnicht wissen was im Flur vor sich ging. Sie starrte nach draußen. Es war gerade mal eine Sichel des Mondes zu sehen. Zwischen den schwarzen Ästen des Baumes funkelte er kaum hindurch. Immer noch den Blick auf das Fenster gerichtet lauschte sie. Es war nichts zu hören. In ihrer Fantasie stellte sie sich vor wie ein maskierter Mann vor ihrer Zimmertür stand und lauschte. Ihr Körper erstarrte fast wie automatisch und sie atmete nur noch flach. Das schwache Mondlicht ließ jeden Schatten verdächtig und zugleich erschreckend aussehen. Plötzlich flog etwas Schwarzes an ihrem Fenster vorbei. Sie gab einen leisen, erschrockenen Laut von sich als würde sie erschrocken aufatmen – und hielt danach sofort die Luft an. Was war das gewesen? Flogen um diese Zeit überhaupt noch Krähen herum? Und wieso hatten die Federn so durchscheinend wie Haut gewirkt? Vielleicht war das eben eine Fledermaus gewesen!? Sie versuchte sich mit dem Gedanken zu beruhigen, dass sie zu viele Vampirfilme geschaut hatte. Hier am Rande Manhattans gab es doch keine Fledermäuse, oder? Sie schloss die Augen und konzentrierte sich wieder auf ein Geräusch. Sie hörte etwas, was wie beinahe lautlose Flügelschläge klang, konnte es aber nicht zuordnen. Der Lärm des entfernten Stadtzentrums drang nur gedämpft bis in ihr Zimmer. Sie konnte nicht anders – sie öffnete die Augen wieder und starrte zur Zimmertür. Ihre ganze Hand fühlte sich nun kalt und klamm an und sie spürte wie ihr Herz in ihrer Brust aufgeregt pochte. Fast, als könnte es sie durch sein Pochen verraten. Bis jetzt hatte sie weder gehört, wie jemand eine Schublade aufriss, noch wie jemand durch das Haus lief. Fenja bemerkte, wie sie für das Lauschen die ganze Zeit die Luft angehalten hatte und jetzt erst wieder anfing, zu atmen. Hatte sie sich geirrt? Hatte sie ein Albtraum geweckt? Ihr Herz pochte immer noch, aber es war etwas langsamer als vor einigen Sekunden. Wie lang lag sie nun überhaupt schon da und lauschte? Vielleicht war da wirklich nichts… Plötzlich sah sie im blassen Schimmer des Mondlichts einen Schatten vor ihrer Tür, der sich bewegte. Sofort pochte ihr Herz wieder schneller und sie atmete so flach wie möglich. Mit gebanntem Blick auf die Tür lag Fenja in ihrem Bett. Die Klinke bewegte sich nicht – aber langsam schob sich die Tür auf. Fenja dachte daran, so zu tun als würde sie schlafen. Blitzschnell schloss sie die Augen und versuchte, ihren verräterisch schnellen Pulsschlag unter einer vermeintlich ruhigen Schlafatmung zu verbergen. Sie hörte nichts, aber wenige Sekunden später fiel ein Schatten auf sie, sodass es hinter ihren Augenlidern dunkler wurde. Sie unterdrückte den Drang, ihre Augen zuzukneifen oder aufzureißen. So lag sie eine gefühlte Ewigkeit da, in Wirklichkeit waren es höchstens einige Sekunden. Sie fühlte wie es um sie herum kälter wurde, als würde diese Gestalt die Kälte von draußen mitbringen. Plötzlich durchschnitt eine kalte, leicht amüsierte Stimme die Stille. „Ich weiß, dass du wach bist, Fenella“ Sofort kniff sie die Augen zusammen. Man hatte schon seit Ewigkeiten nicht mehr ihren richtigen Namen verwendet. Jetzt hörte sie ein trockenes Lachen. „Wusst ich’s doch. So, und jetzt mach die Augen auf“ Verdammt, woher wusste der Typ ihren Namen!? Und wieso dachte er, er konnte ihre vorschreiben was sie tat!? Sie kniff die Augen fester zusammen, um ihm ihren Trotz zu zeigen. „Du kannst sie meinetwegen auch geschlossen halten solange ich…“, setzte der Typ an und Fenja riss sofort die Augen auf. Erstmal sah sie verschwommen, immerhin mochten es die Augen nicht, wenn man sie plötzlich der trockenen Luft aussetzte. Sie blinzelte etwas und dabei gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. Sie starrte ungläubig in das Gesicht eines jungen Mannes der sie verschmitzt anlächelte. „Umkehrpsychologie hilft eben immer“, lobte er sich bei ihrem Blick selbst. Misstrauisch musterte sie sein Gesicht. Es war blass wie der Mond selbst. Seine Haut war in der schwarzen Finsternis wie eine weißer Fleck. Einen Kontrast dazu bildeten seine schwarzen Haare, die mittellang und etwas gewellt waren und aussahen, als hätte er sie seit Längerem nicht mehr gekämmt. Trotzdem glänzten sie. Seine Augen wirkten in der Dunkelheit schwarz, im fahlen Mondlicht blitzte aber etwas Braunes auf. Sein ganzes Gesicht wirkte eher lebhaft, so, wie er jetzt grinste. Und hätte Fenja nicht so eine Angst würde sie im gern das Grinsen aus der Visage putzen. Es wirkte provozierender als jedes Grinsen das sie bereits gesehen hatte. Sie versuchte, wütend auszusehen, wollte ihn ausschimpfen was er sich erlaubte. Immerhin war das Einbruch! Aber sie schaffte es nur zu einem kläglich leisen: „Was tust du hier? Wer bist du?“ Sofort bereute Fenja ihre Worte, denn das Grinsen breitete sich aus. „Also ich habe zwei Namen, kommt darauf an, welcher dich mehr interessiert. Und ich bin hier wegen – nun ja, hauptsächlich wegen dir. Außerdem habe ich Hunger“ Sie konnte es sich nicht verkneifen ihn völlig entgeistert anzusehen. „Wieso brichst du bei jemandem ein wenn du dir jederzeit etwas kaufen kannst?“, fragte sie verblüffter als sie es kontrollieren konnte. Der Kerl sah nicht aus als hätte er Ebbe in seinem Portmonnaie. Er trug einen schwarzen Ledermantel der ihm bis zu den Kniekehlen reichte, eine dunkelblaue Jeans und ein ebenfalls dunkles Shirt. „Ich denke, weil mir jedes Essen, das es im Supermarkt gibt, nicht bekommt“, erklärte der Typ in einem schrecklich arroganten Ton. Dabei betrachtete er kurz seine Fingernägel. Danach funkelte er sofort wieder Fenja mit seinen dunklen Augen an. „Wieso…“, setzte Fenja an doch der Typ unterbrach sie. „Weil nicht jeder ein Mensch ist wie du“, brachte er etwas gereizt hervor. Dann setzte er wieder dieses Dauergrinsen auf. Fenja schluckte. „Aber wenn du kein Mensch bist… Was bist du dann?“ Ihr Gegenüber seufzte theatralisch und leckte sich mit der Zunge sichtbar über die Zähne. Am liebsten hätte Fenja geschrien. Ihr Herz hämmerte wie wild. Seine weiß schimmernden Zähne waren kurz aufgeblitzt – aber das konnte doch nicht sein! War das ein Albtraum? Ja, sicher war sie bei dem Film vorher eingeschlafen und träumte das Alles nur. Sie zwickte sich in den Arm. Sofort schoss wieder Verwirrung in ihren Kopf. Das war kein Traum. Aber das erklärte trotzdem nicht, wieso sie gerade die spitzen Eckzähne des Kerls gesehen hatte… Er konnte doch unmöglich… „Also, zurück zu deiner Frage – nicht der gerade eben sondern die vorhin… Willst du meinen menschlichen Namen oder den Vampirnamen hören?“, fragte er, als wäre es alltäglich. Für ihn war es das wohl auch. Fenja fing wieder an zu zittern. „Wieso bist du dann hier? Wir haben kein Blut im Kühlschrank…“, wollte Fenja etwas Ironisches hinzufügen. „Ich sagte, ich bin hauptsächlich wegen dir da“, wiederholte der Typ mit einer Spur Langeweile. Fenjas Stimme zitterte, als sie fragte: „Bin ich ein Vampir?“ Es entstand ein Schweigen zwischen den beiden, was der Typ zu genießen schien. „Sag schon“, drängte sie ihn mit nun vor Wut und Aufregung zitternder Stimme. Er fing wieder an zu grinsen. „Nein, bist du nicht“, antwortete er amüsiert. Fenja atmete hörbar aus – dann wurde ihr bewusst dass es eigentlich besser gewesen wäre, schon einer zu sein… Denn das hieß, dass er hier war um ihr Blut zu trinken. Eigentlich musste das ja nicht wahr sein aber… „Ich bin hier um dich zu einem zu machen. Lilith denkt, du seist ein starkes Mitglied des Vampirclans.“ Na, super. Fenja starrte ihn wütend und angsterfüllt an. Der Typ zuckte unbeteiligt mit den Schultern. „Was!? Ich kann doch nichts dafür“ Da war sich Fenja nicht sicher. Er hatte gesagt, er hätte Hunger – vielleicht hatte er sich freiwillig gemeldet… Kurz stand er wie in Gedanken verloren da, dann setzte er sich in Bewegung und steuerte ihr Bett an. Sein Grinsen war verschwunden. Fenja schlug die Decke beiseite und richtete sich auf. Ihre Füße berührten den kalten Parkettboden. Sie sah kurz den Typen an, dann an ihm vorbei zur Tür. Würde sie es schaffen, an ihm vorbeizukommen? Einen Versuch war es Wert. Sie erhob sie bevor der Kerl das Zimmer durchquert hatte und sauste zur Tür. Kurz bevor sie die Klinke zu fassen bekam wurde sie zurückgerissen. Der Typ hielt sie mit eisernem Griff an der Schulter und funkelte sie etwas gereizt an. Er drehte sie um und sie erwiderte seinen Blick mit ängstlich aufgerissenen Augen. Sie spürte wie ihr Herz pochte, als würde es gleich aus ihrer Brust springen – wie lange würde es noch schlagen? Solche Fragen schossen ihr durch den Kopf. Der Blick ihres Gegenübers heftete sich auf ihren Hals. Langsam senkte er den Kopf, bleckte die spitzen Eckzähne und… Fenja trat aus blinder Angst gegen sein Schienbein. Kurz lockerte sich sein Griff doch bevor Fenja das nutzen konnte verstärkte er sich wieder sodass seine Finger schmerzhaft in ihre Schultern stachen. In seinen Augen tobte der Kampf zwischen Verärgerung und Belustigung. „Es wäre einfacher gewesen, wenn du wirklich geschlafen hättest“, seufzte er und Fenja war sich nicht sicher, ob das Bedauern echt oder nur gespielt war. „Stopp!“, unterbrach sie ihn mit zitternder Stimme. Er zog nur unbeeindruckt die Augenbraue hoch. „Was?“, fragte er missmutig, als würde es ihn nicht sonderlich freuen. „Kannst du mir wenigstens noch deinen Namen verraten? … Deinen menschlichen?“ Kurz huschte ein schwaches Lächeln über sein Gesicht. Fenja zitterte immer noch. „Man nennt mich Jack“, teilte er ihr halbherzig mit und setzte sich dann wieder ein Ziel an ihrem Hals, vermutlich ihre Halsschlagader. Sie zitterte. „Ganz ruhig“, flüsterte er, doch sie spürte wie er grinste. „Das kannst du nicht ernst meinen“, erwiderte sie resigniert, aber mit vor Angst schriller Stimme. Sie spürte zwei scharfe Stiche an ihrem Hals und wie ihr sofort etwas Warmes daran herunterlief. Eine Kälte, die die Haut um den Biss herum taub werden ließ verhinderte, dass sie etwas spürte. Sie kniff die Augen zusammen und spürte nur einen Druck, der sich langsam ausbreitete – und irgendwann versank sie in der Dunkelheit.